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WenDo - ein Stück feministische Bewegungskultur
(von Sabine Flohr)

Ab Ende der Siebzigerjahre begannen sich in der ganzen alten Bundesrepublik autonome Frauensportgruppen zu organisieren. Die Frauen/Lesben, die sich hier trafen, suchten nach neuen Möglichkeiten, Sport zu treiben: frauenbezogen, in Distanz zu Hierarchien und Leistungsorientierung traditioneller Vereine. Ein anderer zentraler Impuls für die Bildung vieler solcher Gruppen war die Auseinandersetzung der neuen Frauen/Lesben-Bewegung mit direkter und struktureller Gewalt gegen Frauen/Lesben. In den autonomen Kampfsportgruppen ging es sowohl um das Erlernen von Selbstverteidigungstechniken als auch darum, gemeinsam mit Mitstreiterinnen die eigene Stärke und Geschicklichkeit zu spüren und zu entwickeln. So griff frau auf alte und moderne Kampfkünste wie Kickboxen oder Karate zurück und übernahm aus Kanada das neu entwickelte WenDo.WenDo ist ein Kunstwort, das sich zusammensetzt aus Wen, als Abkürzung für Women, und Do, dem japanischen Wort für Weg. Charakteristisch für WenDo gegenüber anderen Kampfkünsten ist, dass neben dem Erlernen von Selbstverteidigungstechniken die Entwicklung von Selbstbehauptungsstrategien z.B. mittels Rollenspielen einen wichtigen Teil des Trainings ausmacht.

Die Kenntnisse wurden in den Gruppen von Frauen an Frauen weitergegeben. Zum Inhalt der Gruppen gehörte der kritische Umgang mit Hierarchien, die daraus resultieren können, dass die Trainierenden unterschiedliche Kenntnisse haben oder auf einem unterschiedlichen Übungsstand sind; sie können auch aus der Rolle von Lernenden und Lehrenden entstehen. Konkret bedeutete dies, dass viele Gruppen bewusst keine Gurtprüfungen machten und sich ganz oder teilweise selbst trainierten. Wenn Frauen sich als Trainerinnen spezialisierten, verstanden sie dies eher als politisches Projekt denn als mögliche Erwerbsarbeit.

Mit diesen hier nur kurz skizzierten Strukturen waren (und sind?) die autonomen WenDound Kampfsportgruppen für viele Frauen/Lesben Teil einer antipatriarchalen Bewegung und ein Stückchen gelebte Utopie. Aus dieser Bewegung kommen die Trainerinnen, die heute bei Seitenwechsel WenDo oder Kickboxen lehren.

Vieles hat sich im feministischen Kampfsport geändert. Ausdruck dafür ist z.B., dass sich nur noch wenige – bei Seitenwechsel z.Zt. keine – Gruppen selbst trainieren. Die Teilnehmerinnen kommen mit einer anderen Haltung zum Training. Für viele spielt die politische Reflexion von gesellschaftlicher Gewalt heute eine geringere Rolle, zentrales Ziel ist der individuelle Wissenserwerb. Gruppenprozesse, gemeinsames Lehren und Lernen in neuen Formen werden weniger eingefordert oder als zu zeitaufwändig eingestuft. Die Teilnehmerinnen möchten ein vielseitiges und effizientes Training, ohne sich zuvor selbst in einer vorbereitenden Kleingruppe mit den Trainingsinhalten, dem Trainingsablauf oder auf selbstorganisierten Workshops mit der sportlichen „Weiterbildung“ zu befassen.

Diese Aufgaben sind im Lauf der Jahre – in Anpassung an traditionellere Trainingsformen – immer mehr auf die Trainerinnen übergegangen.

Um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden, haben sich die WenDo-Trainerinnen in den vergangenen Jahren bundesweit vernetzt und Strukturen zur kollegialen Beratung und Supervision aufgebaut.

Aus der Geschichte des WenDo ergibt sich ein reflektierter Umgang der Trainerinnen mit ihrer Rolle und ein Aufbau des Trainings, der die Teilnehmerinnen bei der Festlegung der Inhalte einbindet. Z.B. steht am Anfang der Stunden eine kurze Austauschrunde, in der jede ihre Tagesverfassung und ihre Bedürfnisse mitteilen kann. Die Trainerinnen legen Wert auf Offenheit für Entwicklungen innerhalb der jeweiligen Trainingsgruppe, einen festen Lehrfahrplan gibt es nicht.

Von großer Wichtigkeit ist nach wie vor die Alltagstauglichkeit des Trainings. Es gibt immer wieder Sequenzen mit Straßenkleidern, mit unpraktischen Schuhen, mit Fahrrädern, an Alltagsorten usw.

Ein anderer roter Faden, der sich durch Wen- Do als Selbstbehauptungstraining zieht, ist der Umgang mit den eigenen Grenzen und denen der Trainingspartnerinnen. Leitfragen sind: Wie geht es mir gerade in dieser Situation? Möchte ich sie beenden, auch wenn ich dann womöglich zu hören bekomme: „Stell Dich nicht so an“? Möchte ich eine „harte Technik“ anwenden, möchte ich kalkuliert deeskalieren oder „nur“ weggehen?

Weil im WenDo-Trainerinnen-Netzwerk – wie insgesamt in feministischer Theorie und Praxis – Gewalt heute wesentlich differenzierter definiert wird – bis hin zur Täterschaft von Frauen/Lesben z.B. bei rassistischen Angriffen – ergeben sich neue Trainingsinhalte bis hin zu speziellen Angeboten für unterschiedliche Gruppen (Training für Rollstuhlfahrerinnen, Training für junge Frauen ...). Auch Seitenwechsel bietet eine Mädchen-WenDo- Gruppe an. Damit verbunden ist die entsprechende fachliche Weiterbildung der Trainerinnen.

Nach wie vor hat die Auseinandersetzung mit direkter und indirekter Gewalt gegen Frauen/ Lesben einen zentralen Platz in den Trainings. Dabei fließen immer wieder die ganz persönlichen Erfahrungen der Frauen/Lesben mit (meistens männlicher) Gewalt ein. Für viele Frauen sind die Gruppen ein Schutzraum, wo sie ihre Erfahrungen vorsichtig betrachten und im Austausch mit anderen Frauen/Lesben neue Verhaltensweisen entwickeln können. Diese Prozesse brauchen Zeit; Vertrauen und Verbindlichkeit innerhalb der Gruppe werden von vielen Teilnehmerinnen als wichtige Erfahrung geschätzt.

Trotz der Schwere der Themen sind die Trainings oft sehr spielerisch, leicht und ausgelassen, sodass es einfach Spaß macht,Wen- Do zu trainieren. Denn wo sonst kann ich mich eben mal zum Aufwärmen in einen watschelnden Pinguin oder einen grunzenden Affen verwandeln?!