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Von Immerhin zu Seitenwechsel oder:  Wie alles anfing
(vo
n Conny Schälicke / Seitenwechsel-Archiv)

Gemunkelt und gesponnen wurde um die Idee eines Frauen/Lesbensportvereins in der Stadt schon seit Mitte der Achtzigerjahre, zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten, von verschiedenen Frauen. Der entscheidende Funke zündete in der Volleyballgruppe „Immerhin“, die bereits an kleinen innerdeutschen Lesben-Volleyballturnieren teilnahm. Im Juni 1988 kamen begeisterte Frauen im Frauencafé Begine zusammen, schnell wurde eine Satzung geschrieben, und am 30. Oktober fand das Gründungstreffen statt.

Nach wenigen Monaten Vereinsleben, vielen kreativen Ideen, endlosen Diskussionen und langen Listen phantasievoller Vereinsnamen gab es eine erste Satzungsänderung im Vereinsregister zu verzeichnen: Aus dem „Frauen/ Lesben Sportverein Berlin/West“ wurde Seitenwechsel.

Den 14 Gründerinnen gemeinsam waren die einschlägigen Erfahrungen in gemischten, leistungsorientierten und männerdominierten Vereinen oder die Unzufriedenheit darüber, dass privat organisierte Sportgruppen sehr krisenanfällig sind. Darüber hinaus verband uns das Bedürfnis nach einem Rahmen, in dem unser jeweiliges lesbisch/feministisches Selbst-Verständnis auch selbstverständlich sein sollte. Einen ganz praktischen Grund hatte die Vereinsgründung auch: Die Sportanlagennutzungsordnung (SPAN) sah vor, dass gemeinnützige Vereine bei der Vergabe von Sportstätten zu bevorzugen waren.

Neben den bereits bestehenden Orten, an denen Frauen unter sich mit Spaß fitnessorientierte Sportangebote nutzen konnten - wie dem „Schokosport“ im Frauenstadtteilzentrum Schokofabrik, dem „Selbstverteidigung für Frauen e.V.“, „Außer Atem“ und dem Hochschulsport der TU mit Frauenschwerpunkt – bot Seitenwechsel ab Ende der Achtzigerjahre zusätzlichen Raum und vielfältige Möglichkeiten für Frauen, sich sportlich zu betätigen. Wir wollten Möglichkeiten des Sporttreibens finden, bei denen nicht das Selbstverständnis als Lesbe und/oder frauenbewegte Frau in der Garderobe gegen die Turnhose getauscht werden muss.

Dank eines für Berliner Verhältnisse unerwarteten Hallensegens zum Herbst 89 umfasste das Angebot nach einem Jahr schon: zwei Volleyball-, zwei Tanz- (Standard/Latein), zwei Badminton-Gruppen, eine Handball-, eine Akrobatik- und eine „GayGames“-Gruppe.

Nicht alles, was 1988 in den Köpfen der Gründerinnen herumspukte, wurde umgesetzt, wie folgendes Zitat aus einem der Anfangsprotokolle zeigt: „Und wer weiß, vielleicht sind dies die Anfänge, einen alten – und gelebten – Traum von autonomen Frauenweltspielen wiederzubeleben.“ Aber es wurde der Grundstein gelegt, um beispielsweise immer wieder spannende und wichtige Diskussionen über Begriffe wie Leistung,Verantwortung und die Zielsetzungen sportlichen Handelns entstehen zu lassen. Seit den Anfängen entscheiden die Mitfrauen selbst, in welcher Spiel- oder Trainingsform sich ihre Lust am Sport ausdrücken soll; inwiefern sie bestehende Reglements übernehmen oder die Sportarten verändern wollen; ob sie an Wettkämpfen teilnehmen, eigene Turniere mit anderen Frauen- und Lesbengruppen organisieren möchten oder lieber unter sich bleiben wollen. Auch das Angebot an Gruppen und Sportarten folgte von Anfang an den Wünschen und Interessen, die an Seitenwechsel herangetragen wurden. Frei nach dem Motto: „Alles ist umsetzbar. Bringt eine Idee, wir suchen die Halle/den Platz und die passende Trainerin.“

Ein anderes Anliegen der Gründerinnen war es, auch auf sport-politischer Ebene etwas in Bewegung zu bringen. Schnell wurde damit begonnen, sich auf lokaler und auch auf internationaler Ebene für die Rechte und gegen die Diskriminierung von Mädchen, Frauen und Lesben im Sport einzusetzen.

Seit 1988 hat Seitenwechsel über 1500 Mädchen und Frauen in den unterschiedlichsten und vielfältigsten Sportarten in Bewegung gebracht. Im Vordergrund stand und steht dabei immer der Spaß am und im Sport sowie am Sporttreiben mit anderen Frauen.