Itong Ehrke

Auf der Vollversammlung habe ich Blumen und Geschenke bekommen: Danke dafür!

Ich soll was dazu schreiben also bitteschön: Ich bin jetzt seit 25 Jahren im Verein und auch schon fast zwei Jahrzehnte Vereinsmanagerin- was für mich selbst erstaunlich klingt. Ich war vorher in meinem Leben nur in einem einzigen Sportverein und das war Selbstverteidigung für Frauen e.V. in der Hauptstraße.

Eigentlich bin ich sehr zufällig bei Seitenwechsel gelandet: In meinem Sportwissenschaftsstudium beobachtete ich die Seitenwechsel Schwimmgruppe und schloss mich ihr an, weil ich gerade für meine Schwimmprüfung lernte.

Irgendwie war ich dann schon kurz darauf selbst Trainer_in, denn die alte Trainer_in hörte auf und dann war ich kurz darauf im Seitenwechsel-Vorstand, denn der hörte auch auf. Beides war nicht geplant, genauso wenig wie so lange im Verein zu bleiben.

Anfang der 90er Jahre als ich angefangen habe - das waren Zeiten mit Karteikarten für „Mitfrauen“ (Wörter mit "-glied“ wurden damals aus feministischer Perspektive abgelehnt), Computern mit dem Betriebssystem DOS und unsere Öffentlichkeitsarbeit wurde, wenn wir WordArt verwendet haben, als fürchterlich modern wahrgenommen. Wer übrigens nicht weiß was WordArt ist ... das könnt ihr googeln. Das war damals schwieriger: Um etwas herauszufinden, nachzufragen oder Werbung zu machen, musste „frau“ bei Projekten, Sportgruppen oder Ämtern vorbeigehen und für sich werben, es gab das Internet nicht in der heutigen Form und keine Handys - geschweige denn Smartphones. Wir mussten uns anders vermitteln: Mit an der Schreibmaschine geschriebenen Texten, die wir mit Kollagen versahen und im Copyshop vervielfältigten. Das klingt jetzt für mich selbst als ob es schon 50 Jahre her sein müsste. Aber es ist erst 25 Jahre her.

Wir residierten mit unserem Büro noch in der Chausseestraße in Mitte, wo heute gegenüber der BND seine Zentrale errichtet hat, und öffneten gemeinschaftlich die drei Briefe, die wir monatlich per Post bekamen. Jetzt, ca. 1.500 Fitnessstunden später, die ich seitdem donnerstags in der Urbanstraße abgehalten habe, bin ich immer noch bei Seitenwechsel und lese meist 50 Mails am Tag.

Der Verein bewegt sich auf 1.000 Vereinszugehörige zu. Wir haben außerdem noch unzählige Menschen, die in Projekten oder AGs dabei sind. Nach Zwischenstationen unseres Büros in der Lesben- und Schwulenberatung bzw. später Siegessäule in der Kulmer Straße und später in der Reichenberger Straße sind wir jetzt schon wieder 10 Jahre mit unserer Geschäftsstelle im Mehringhof.

18 Jahre habe ich das Schwimmtraining im Spreewaldbad geleitet, hunderte Stunden in irgendwelchen Ausschüssen verbracht, in denen ich anfangs oft die einzige Frau war (und das „Frauenthema“ einbrachte) und auch bestimmt 150 Beirät_innen kennengelernt. In den ersten Beiratssitzungen gab es, glaube ich, keine Nichtraucher_innen. Damals rauchten alle und man musste während der Sitzungen zum Luft holen rausgehen statt zum Rauchen. Ich habe im Beirat viele tolle Leute kennen gelernt, die dazu beigetragen haben, dass wir der Verein sind, der wir heute sind. Auch hatten wir bestimmt (vielleicht auch nur gefühlt) schon über 500 Trainer_innen, die immer neue und tolle Ideen mitbrachten, welche Sportangebote wir machen könnten. Einige sind mit mir gemeinsam älter geworden und begleiten mich noch immer durch mein Seitenwechsel-Leben.

Martin, mein von mir sehr geschätzter neuer Kollege bei Seitenwechsel, nannte mich kürzlich das Seitenwechsel-Wikipedia, weil er denkt ich weiß alles über den Verein. Das stimmt vermutlich fast, weil ich vieles von dem, was es heute im Verein gibt, irgendwann mal miterdacht, mitgeformt, miterkämpft habe: sei es das Boxcamp, die Sportangebote, Hallenzeiten, Sport für Mädchen, Seitenwechsel FLT*I* und Mädchen, Fachtage, Filme, etc..

Die meisten Hallen kenne ich, weil ich die Schränke mal hingefahren oder reingetragen habe, die meisten Trainer_innen, weil ich sie eingestellt habe, viele Menschen im Bezirk, weil in Kreuzberg vernetzt, diskutiert und gestritten wird. Eine schöne Kultur! Ich kenne aber nicht mehr wie früher von jeder Person den Vor- und Nachnamen. Ich weiß glücklicherweise vieles nicht mehr, weil andere engagierte Personen nun übernommen haben, wir uns professionalisiert haben und wir einfach zu groß und zu vielfältig sind.

Es macht mir immer noch Spaß, mit den vielen Menschen neue oder oft auch die immer gleichen Diskussionen zu führen, Neues auszudenken, mich oft auch zu ärgern und aus dem Ärger was zu entwickeln. Deswegen ist Ärger für mich auch ein Gefühl, welches ich gar nicht nur negativ finde.

Ich bin mit dem Verein älter geworden und hoffe, wir sind beide noch nicht am Ende der Entwicklung angekommen. Und wenn Menschen sich den Verein weiterhin anders, besser, vielfältiger wünschen wie ich auch, dann habe ich in meiner Arbeit bei Seitenwechsel eines lernen müssen: Demokratie, Entwicklung und Kompromiss erfordert recht viel Zeit. Das ist schwer auszuhalten auch für mich, denn ich bin eigentlich sehr ungeduldig.

Diese Herausforderung bleibt aber auch als einer der wichtigstenGründe für mich im Verein zu sein: Demokratie zu leben soweit es möglich ist... und meine geliebten Fitnessgruppen.Ich wäre da natürlich lange noch nicht mit der Aufzählung fertig.

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